Auf Umwegen zum Traumberuf
Karen Gasser wollte Lehrerin werden. Ursprünglich. Wie so oft im Leben, kommt es anders als geplant.
«Nein! Das darf nicht sein!» Und doch: Karen Gasser hatte es kommen sehen: nach nur sechs Monaten an der Fachmittelschule in Wettingen das Aus. Der Notendurchschnitt zu tief, um die Ausbildung weiterzuführen. Ihr Traum, Lehrerin zu werden, geplatzt.
Deutsch ist schwierig
Karen wuchs auf Boracay Island, einer Insel auf den Philippinen, auf. Ihr Vater ist Schweizer und ihre Mutter Filipina. 2007 entschieden sie, vorübergehend in die Schweiz zu ziehen. Den Eltern war eine gute Ausbildung für die damals 13-jährige Karen wichtig. Das bedeutete: umziehen, ein fremdes Land, eine andere Kultur, zwei unbekannte Sprachen, neue Freundinnen und Freunde.
Die Bezirksschule schloss Karen mit Ach und Krach ab. Die deutsche Sprache lag ihr gar nicht. Englisch ist ihre Muttersprache, Schriftdeutsch und Schweizerdeutsch waren ihr fremd. Und an diszipliniertes Arbeiten in engen Strukturen und unter klaren Vorgaben musste sie sich erst gewöhnen. Das Leben auf den Philippinen ist anders, bunter, vertrauter. Nach der bestandenen Bezirksschule kam der Wechsel in die Fachmittelschule und dann das Aus.
Plan Z: Kaufmännische Grundausbildung
Wie weiter? Studieren und an den gleichen Hürden scheitern? Aufgeben und gar nichts tun? Nein, das waren alles keine Optionen. Nun gut, dachte sich Karen, wenn nicht Lehrerin, dann eben eine Berufslehre zur Kauffrau, eine vielseitige Ausbildung und eine gute Startplattform fürs Leben. Das war der Plan und wieder kam es anders.
Alle KV-Lehrstellen waren vergeben. «Mitte Saison» sucht kein Unternehmen nach Lehrlingen. «Was soll ich tun?», fragte Karen resigniert ihren Kumpel Ronny. «Lass mich in der Firma nachfragen. Die Werder Feinwerktechnik sucht hin und wieder kurzfristig Hilfsarbeiter.» Und siehe da, vier Tage später endlich, endlich ein positiver Bescheid.
Der Sprung ins kalte Wasser
Am ersten Arbeitstag bei Werder Feinwerktechnik war Karen mulmig zumute. Überall stehen riesige Fräs- und Messmaschinen. Sie war von Polymechanikern und Werkzeugmachern umringt und von Aluplatten und Stahl. Nichts von Belle Etage und rotem Teppich. Hier wird gedreht, gefräst, gelasert. Sämtliche Maschinen sind elektronisch gesteuert – programmiert und überwacht von jungen und älteren Männern in blauen Latzhosen.
Zugegeben, die Arbeit als Hilfskraft war für Karen nicht anspruchsvoll. «Bring mal, reich mir», wurde sie oft gebeten. Ihr war das egal. Denn die «Werders» sind sehr hilfsbereit und nahmen sich für ihre Fragen Zeit. Unglaublich, wie aus einem Metallklotz eine komplizierte Konstruktion für die Medizinal- oder Messtechnik wird: Winzigste Einzelteile, die später in der Chirurgie als Implantate eingesetzt werden.
Und während an der KV-Front weiter Negativmeldungen auf ihre Bewerbungen reinflatterten, spielte sie mit dem Gedanken, Polymechanikerin zu werden. Sie wollte etwas Handfestes lernen, einen Beruf, der Kreativität und präzises Arbeiten verlangt.
Gekommen, um zu bleiben
André Stäger, der damalige Lehrlingsverantwortliche und heutige Technische Geschäftsleiter, überlegte nicht lange, als Karen mit ihrem Vorschlag in seinem Büro stand. Er hatte ihr Interesse längst bemerkt und beobachtet, dass in Karen mehr als eine Hilfskraft steckte. Mehr noch: Sie passt mit ihrer herzlichen Art und ihrer Neugierde perfekt ins Team.
Karen ist heute gelernte Polymechanikerin. Wer hätte das gedacht? Sie hatte Glück, in der Werder Feinwerktechnik eine Firma gefunden zu haben, die ihr vertraute und ihr eine Chance gab. Und sie hat gelernt, dass Wollen allein nicht immer reicht. Es braucht Durchhaltewille und viel Fleiss. Noch heute arbeitet sie gerne bei der Firma Werder Feinwerktechnik, hat einen festen Platz im Team. Die meist männlichen Kollegen begegnen ihr mit Respekt. Den hat sie sich verdient.
Beruf Polymechanikerin, Polymechaniker
Die häufigste Fachrichtungen sind Fertigung, Montage und Instandhaltung.
Polymechanikerinnen und Polymechaniker in der Fertigung führen Aufträge und Projekte nach Kundenzeichnungen und 3D-Modellen aus. Sie überlegen sich eine Fertigungsstrategie, programmieren die Werkstücke, bauen Vorrichtungen dazu und richten die Maschinen und zum Teil Roboter für die Serienproduktion ein.
Der Beruf ist kreativ und anspruchsvoll. Vielfach kommen CNC-Maschinen und computerbasierte Programmiersysteme (CAM) zum Einsatz. Den Schwerpunkt in der Ausbildung bildet das Programmieren, Einrichten und Bedienen von computergesteuerten Maschinen. Die Lehrzeit beträgt vier Jahre.